Der
Gebrannte Abgrund
zu Dieter Kleinpeter
Alle Sätze sind gegenüber dem Werk eines Malers Neben-Sätze.
Zu leicht gerinnen die Aussagen zum Nebensächlichen. Dieter Kleinpeter
wäre ein Bärendienst erwiesen, würden seine Bilder in unserer
Sprache abgebildet.
Denn
seine Werke haben Sinn und Funktion dort, wo in Ihnen jene Grenze zwischen
Diesseits und Jenseits manifest wird, die uns auf uns
selbst, - auf ein Individuelles und Zeitliches, zugleich aber auf ein
Generelles verweist, das sich dem Diskurs entzieht.
Denn
diese Werke haben Sinn und Funktion, wo in Ihnen jene Grenze zwischen
Diesseits und Jenseits manifest wird, die uns auf uns selbst,
auf ein Individuelles und Zeitliches, zugleich aber auf ein Generelles
verweist.
Als
Werke wurden sie gemacht; indem sie aber nun, in all' ihrer spezifischen
Materialität und Geformtheit, da sind, haben sie, von ihrem
Maler gelöst, einen eigenen Leib, ein eigenes Leben : Körperlichkeit
und stoffliche Gegenständlichkeit werden auf Grund ihrer Form
transzendiert; sie bekommen einen Sinn.
G
u t g l ä u b i g f o r m e l l können sie aus dem Wechsel zwischen
gegenständlich und ungegenständlich, figural und abstrakt, konkret,
und absolut erläutert werden. 'Abstrakter Expressionismus' und 'Surrealismus',
sicherlich genetische Determinaten, sind indes in Ihrer
spezifischen Funktion nur schwer abzuschätzen.
S
u b s t a n t i e l l gibt es ein Anderes, das der begrifflichen und klassifizierenden
Sprache nicht zugänglich, gleichwohl präsent ist. Eine
Erscheinung, die mit der körperlichen Existenz der pigmentierten
Leinwände nicht kommensurabel ist.
***
Damit
ist notiert, was mich an den Arbeiten eines so viel Jüngeren attrahieren
mag : Sind sie Projektionsebene für die Ahnung eines
Zwischenreiches ? Sind sie Osmosis zu jenem Abgrund Tod der unsere Sehnsucht,
unsere Hoffnungen und Ängste gleichermaßen bestimmt ?
Jedenfalls bezeichnen sie eine Grenze. Und an dieser Grenze (Erbgebnis
der TEIL-WEISE) gewinnen zeichenhaft-benennbare Elemente
minimale Gestalt. Gerade noch als ikonisch dechiffrierbare Fragmente der
Körperwelt erkennbar, aber ohne Grammatik; zum Teil kurvig
labyrinthische Linienreflexe voll graphologischer Spannung, Seismogramme
des Bewußtseins, das vor der Wirklichkeit scheut,
elektrisiert. Zum anderen chromatische Konvulsionen im Magma des farbigen
Grundes, mit diesem selbst in kontinuierlicher Rivalität, von
ihm stets subdominiert.
In
seinen Farben - Schwarz, Blau, Braun Rot - ringen Chthonisches und Uranisches,
gelangt die Begegnung von Hölle und Himmel zu kargen
Zeichen der Violence, zu den Minimalia des Lichtes.
TEILWEISE
sind Zeichenfragmente in die konvulsivisch bewegte Bildebene eingetaucht,
sie KLETTERN UND TAUCHEN, in die pure Kinesis
des Abgrundes eingesenkt, im Malfeld nur hypothetisch-methodisch begrenzt,
dem im Werk dieselbe Gewalt zufällt wie dem Meer, dem
Geysir, dem Vulkan in der Natur. Nur im Fluß des Sehens, in VERSUCHTER
DISZIPLINIERUNG, kann sich eine Syntax bilden. Rebus Struktur.
Kleinpeters Werke haben den Charakter des Fießens; die partikularen
Zeichen, aus Organischem gestückt, tragen den Schein des
Verschwimmenden, die SEHNSUCHT NACH DEM VERGÄNGLICHEN. Ophelia.
Von
dieser Grundkonzeption her gehören sie den unteren und inneren Regionen,
Fluß, Meer, Höhle, Vulkan zu, - keine Wandbilder,
Grundbilder, Bodenbilder, die ausgelotet werden wollen, aber nicht lotrecht
sind.
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Farbgrund
und Organfragment sind Kontrahenten im Kampf um die Überwindung des
Dualismus. Doch neben die Opponenten
(Zeichenfragmente - embryonale oder zerrissene, abgestückelte Figuren
- und magmatischer Grund) werden ästhetische Materialien gesetzt
:
Schemen von Räumen, undefiniert, weder auf Metrizität noch auf
Metrik hin organisiert, liegend ausgebreitetes Potential, das seiner
Aufrichtung entgegenharrt.
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Prinzipiell
gehören diese Werke der Horizontalebene zu, dem Fluß des unbegrenzten
Unteren. Auch topologisch Grund-Bilder, Boden-Bilder.
Wären sie nicht so abgründig, wir würden sie begehen wollen.
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Die
Organisation nach Vertikalen bringt ein hemmendes Moment in die magmatische
Konvulsion, ein bannendes in den Abgrund.
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Die
primär unlokalisierbare Erstreckung der bemalten 'Tafeln' gehört
der Waagrechten zu, die wir dem Unteren zuordnen. Sie gewinnt
Tiefe und Oberfläche, wo die Bildfläche durch kleinere Rechtecke
QUERFELD organisiert wird.
Höhe
gewinnt der Grund wo er KREUZFELD EIN variiert wird; nun erhält die
Tiefe des Grundes die topologische Dimension des vis-à-vis :
In diesem Schritt - UMKEHRUNG VERHÄLTNISSE - werden Bild-Gestalten
generiert, in denen das kaum Benennbare frei wird, sich Licht und
Schwere mehr als RITUELLE HARMONIE, denn als ontologische Gleichung treffen
.Die
ikonischen Zeichen schwimmen wie Hieroglyphen in jenem magmatischen Grunde.
Es entstehen in uns keine amorphen Gebilde, doch fehlt die erkennbare
Syntax. Uns wird im Strom der Zeit partikularisierte Wirklichkeit
vorgeführt, die im Nu vergeht.
Wo
Zeichenfragmente an elementare Flächenraster geheftet werden, erhalten
sie einen 'Grundriß ', aber nie jene Tiefenräumlichkeit, die
sie als Ordnung von Gegenständen begreifbar machen könnte.
Raum entsteht nicht als nachmeßbare Räumlichkeit; er resultiert
aus den gerichteten Kräften des Grundes. Er drängt nach vorn,
zu uns,
Funktion des glühenden Magma, der irritierten Masse, die auf Licht
drängt, ohne Sonne, Exuberat der Gravitation, die auch im Kampf um
DIE LEICHTE UND DIE SCHWERE den Ausschlag gibt.
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Das
Überzeitliche, das in den Werken von Kleinpeter manifest wird, ist
kaum in den Zusammenhang eines Diskurses zu bringen. Soviel
kann vermutet werden : Daß manches, das er in und mit seiner Produktion
generiert, das im Werk als Bild präsent ist, seine eigenen
DiskursMöglichkeiten übersteigt.
Kleinpeter
ist ein 'abstrakter Maler', der wohl stets von gegenständlich fundierten
Erfahrungen ausgeht, sie aber strukturell weit reduziert.
Das Ergebnis dieser Reduktion ist die mediale Grundlage für seine
Botschaft.
Seine
Werke sind nicht Setzungen des Subjekts, durch die auf die Autonomie des
Ich verwiesen werden soll, sondern Bilder, die sich aus
der Dialektik von Figur und Grund, Bildchiffren und magmatischer Malmaterie
konstituieren. Sie verweisen nicht auf sich, sondern zielen
darauf ab, äußere Realität zu spektrieren. Merkwürdig
genug, nähren sie sich aus ontischen Konstanten - anders könnte
das
SCHWARZTUNNELLICHT nicht leuchten - verweisen jedoch auf gesellschaftliche
Wirklichkeit, DARÜBER MACHT MAN KEINE SCHERZE,
und der BOTANISCHE SCHULMEISTER wird den Sinn nicht verstehen können
.Kleinpeters
Bildertitel bezeugen seinen ironischen Realismus. In diesem Verstande
ist sein Werk Komplement der Wirklichkeit; deren
bildnerische Entsprechung wie Erschließung; es wird im Sehen zum
Bilde, in dem die äußere Wirklichkeit nicht redupliziert, sondern
stigmatisiert erscheint.
Die
semantische Dimension ist nicht aus der figürlichen Chiffre eines
in der äußeren Wirklichkeit gegenständlich vorhandenen
Vorbildes
abstrahiert, sondern aus der Manipulation des bildnerischen Materials
selbst. Praesemiotische Qualitäten der Bedeutung, die tief in älteren
Schichten unseres Bewußtseins verankert sind, werden mit Zeichenrudimenten
gekoppelt. Hier wird eine Bildvalenz faßbar, die Realität
sichtbar macht. Keine heitere, auch nicht die des Außen, mit Baum
und Strauch, Fels und Fluß; sondern jene innere der Seele mit ihren
Schründen und Narben, mit ihrem Sehnen und Hoffen, voller Niederlagen
und Enttäuschungen, sozusagen mit einem DESINFARKT, mit all´
den Widersprüchen zwischen der LIEBE UND ANDEREN GRAUSAMKEITEN, mit
denen wir uns plagen müssen.
Kleinpeter ist zu jung, um für sein Oeuvre eine Entwicklungsgeschichte
anzustrengen. Doch scheint seine Arbeit eine wichtige Station in der
Kunst der letzten Jahre, die den Wandel in der Bildintention schon deutlich
zeigt : Dieses melancholisch-agressive, aber temperamentvolle,
dieses temperamentvoll-agressive, aber melancholische Werk schreitet von
der chiffrierenden Abstraktion über surreale Mimesis zu einem
ironischen Realismus fort, dessen Nähe zur Welt eine Voraussetzung
für Distanz zu den Sachen ist. Damit thematisiert er gleichermaßen
die Problematik der 'Kunstgeschichte' wie der 'Kunst heute'.
***
Kunstwerke
- anders als die nurmateriellen Vehikel unserer Umwelt - erscheinen
anders, als sie materialiter s i n d . Diese ontisch
ästhetische Differenz ist für 'Kunst' kategorial.
Ontisch-ästhetische
Differenz ist evident im 'Illusionismus' der abbildenden Künste :
Angesichts der Sixtinischen Madonna von Raffael sehen
wir spontan (fast 'automatisch') eine Madonna und kein großformatiges,
pigmentiertes Brett.
Was sich in diesem ikonischen Illusionismus abspielt, wenn aus dem pigmentierten
Brett eine Madonna wird, wird selten hinterfragt, hat
aber eine Bedeutung, die weit über den ikonischen Illusionismus der
'gegenständlichen' Malerei hinausweist.
Tatsächlich spielt die ontischästhetische Differenz auch
in der Wirklichkeit der Kunstwerke eine fundamentale Rolle, in denen das
abbildende Moment diminuiert ist; - so eben in den gemalten und farbschichtigen
Tafeln von Kleinpeter. Auch hier stehen wir vor jenem
merkwürdigen Sachverhalt, den wir mit dem Begriff der ontischästhetischen
Differenz bezeichnen können : im Sehen entsteht eine
Wirklichkeit, die mit der Tatsächlichkeit der Werke nicht kommensurabel
ist, und die wir so leicht nicht beschreiben können.
Zunächst gibt es einen offensichtlichen Unterschied zum ikonischen
Illusionismus, denn die Werke bilden nichts ab was wir als 'Sixtinische
Madonna', als 'Mäuerchen' oder 'Blume', 'Krone' oder wie immer, diskursiv
(mit logischen Sprachmitteln) fassen und über das wir einen
Konsens erzielen könnten.
Aber
es gibt einen Konsens : auch sie erscheinen anders, als sie materialiter
sind !
Offenbar gibt es auf dieser Ebene ein tertium comparationis zwischen abbildenden
und nicht abbildenden Werken. Augenscheinlich ist es
nicht in der Abbildlichkeit gegeben, sondern in der eigentümlichen
Phänomenalität, in der das materielle Substrat sich visuell
zu einer
Erscheinung sublimiert.
Daß
Kunstwerke per se nicht als Erscheinung da sind, sondern als Werke, die
irgendwo jemandem so und so erscheinen, das ist von zwei
Seiten abhängig, vom Werk und von seinem Betrachter. Kunstwerke sind
in ihrer Materialität nur von ihrem Produzenten abhängig, in
ihrer
Phänomenalität aber von dieser Materialität und von ihren
Rezipienten
.Das
bestätigt die Erfahrung, daß der Kunsthistoriker das Wesen
der Werke zwar erkennen kann, grundsätzlich aber nicht fähig
ist, es
bruchlos in seine (die diskursive Sprache) zu übersetzen. Denn er
weiß grundsätzlich nicht, welche Bildfunktion die Werke bei
verschiedenen
Betrachtern haben.
Wo
aber die Materialität in Phänomenalität umkippt, da ist
das Werk bereits bildwertig; denn es ist bereits Sprache, und es drückt
etwas aus.
Eine Sprache freilich, die wir nicht in die unsere übersetzen, und
ein Ausdruck, den wir nicht verbalisieren können.
Die Funktion dieser Werke ist es, in ihrer spezifischen Medialität
etwas zu benennen, was mit anderen Mitteln nicht zu benennen ist.
Daß sie in ihrer spezifischen Sprachgewalt den Zustand unserer Welt
beschreibt. Daß sie in diesem Verstande eine ANTWORT AUF NIE
GESTELLTE FRAGEN ist.
Die
Funktion dieser Werke ist, wie aller Kunstwerke, eine adamistische : So
wie Adam den Auftrag hatte, Tiere und Pflanzen zu benennen,
hat der Künstler die Aufgabe, die Realität seiner Welt mit seinen
Sprachmitteln zu benennen und in der Benennung zu bannen.
Grundintention dieses Oeuvre ist es, den Abgrund aufzuzeigen, in den der
Mensch in diesen Jahrzehnten nicht nur zu stürzen droht,
sondern, nach zwei Weltkriegen und so vielen immerwährenden Terriotorialkriegen,
seit der ersten industriellen Revolution gestürzt ist. Und
in dem er sich, nicht nur angesichts der atomar bedrohten Zukunft, endgültig
vernichten kann.
.Indem
die Kunst zu diesen symbolischen Transformationen fähig ist, macht
sie den Zustand der Wirklichkeit sichtbar. Sie stellt fest, daß
es
ein BRENNESSELDICKICHT gibt, und daß die UNGEHEUERLICHKEITEN DER
PROVINZ OFT PAUSBÄCKIGE ZÜGE TRAGEN.
Diese Mahnungen können helfen, den Zustand der Welt zu verändern
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