Friedrich Piel  

 


Der Gebrannte Abgrund

– zu Dieter Kleinpeter

 


Alle Sätze sind gegenüber dem Werk eines Malers Neben-Sätze. Zu leicht gerinnen die Aussagen zum Nebensächlichen. Dieter Kleinpeter
wäre ein Bärendienst erwiesen, würden seine Bilder in unserer Sprache abgebildet.

Denn seine Werke haben Sinn und Funktion dort, wo in Ihnen jene Grenze zwischen Diesseits und Jenseits manifest wird, die uns auf uns
selbst, - auf ein Individuelles und Zeitliches, zugleich aber auf ein Generelles verweist, das sich dem Diskurs entzieht.

Denn diese Werke haben Sinn und Funktion, wo in Ihnen jene Grenze zwischen Diesseits und Jenseits manifest wird, die uns auf uns selbst,
auf ein Individuelles und Zeitliches, zugleich aber auf ein Generelles verweist.

Als Werke wurden sie gemacht; indem sie aber nun, in all' ihrer spezifischen Materialität und Geformtheit, da sind, haben sie, von ihrem
Maler gelöst, einen eigenen Leib, ein eigenes Leben : Körperlichkeit und stoffliche Gegenständlichkeit werden auf Grund ihrer Form
transzendiert; sie bekommen einen Sinn.

G u t g l ä u b i g f o r m e l l können sie aus dem Wechsel zwischen gegenständlich und ungegenständlich, figural und abstrakt, konkret,
und absolut erläutert werden. 'Abstrakter Expressionismus' und 'Surrealismus', sicherlich genetische Determinaten, sind indes in Ihrer
spezifischen Funktion nur schwer abzuschätzen.

S u b s t a n t i e l l gibt es ein Anderes, das der begrifflichen und klassifizierenden Sprache nicht zugänglich, gleichwohl präsent ist. Eine
Erscheinung, die mit der körperlichen Existenz der pigmentierten Leinwände nicht kommensurabel ist.


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Damit ist notiert, was mich an den Arbeiten eines so viel Jüngeren attrahieren mag : Sind sie Projektionsebene für die Ahnung eines
Zwischenreiches ? Sind sie Osmosis zu jenem Abgrund Tod der unsere Sehnsucht, unsere Hoffnungen und Ängste gleichermaßen bestimmt ?
Jedenfalls bezeichnen sie eine Grenze. Und an dieser Grenze (Erbgebnis der TEIL-WEISE) gewinnen zeichenhaft-benennbare Elemente
minimale Gestalt. Gerade noch als ikonisch dechiffrierbare Fragmente der Körperwelt erkennbar, aber ohne Grammatik; zum Teil kurvig
–labyrinthische Linienreflexe voll graphologischer Spannung, Seismogramme des Bewußtseins, das vor der Wirklichkeit scheut,
elektrisiert. Zum anderen chromatische Konvulsionen im Magma des farbigen Grundes, mit diesem selbst in kontinuierlicher Rivalität, von
ihm stets subdominiert.

In seinen Farben - Schwarz, Blau, Braun Rot - ringen Chthonisches und Uranisches, gelangt die Begegnung von Hölle und Himmel zu kargen
Zeichen der Violence, zu den Minimalia des Lichtes.

TEIL–WEISE sind Zeichenfragmente in die konvulsivisch bewegte Bildebene eingetaucht, sie KLETTERN UND TAUCHEN, in die pure Kinesis
des Abgrundes eingesenkt, im Malfeld nur hypothetisch-methodisch begrenzt, dem im Werk dieselbe Gewalt zufällt wie dem Meer, dem
Geysir, dem Vulkan in der Natur. Nur im Fluß des Sehens, in VERSUCHTER DISZIPLINIERUNG, kann sich eine Syntax bilden. Rebus Struktur.
Kleinpeters Werke haben den Charakter des Fießens; die partikularen Zeichen, aus Organischem gestückt, tragen den Schein des
Verschwimmenden, die SEHNSUCHT NACH DEM VERGÄNGLICHEN. Ophelia.

Von dieser Grundkonzeption her gehören sie den unteren und inneren Regionen, Fluß, Meer, Höhle, Vulkan zu, - keine Wandbilder,
Grundbilder, Bodenbilder, die ausgelotet werden wollen, aber nicht lotrecht sind.


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Farbgrund und Organfragment sind Kontrahenten im Kampf um die Überwindung des Dualismus. Doch neben die Opponenten
(Zeichenfragmente - embryonale oder zerrissene, abgestückelte Figuren - und magmatischer Grund) werden ästhetische Materialien gesetzt :
Schemen von Räumen, undefiniert, weder auf Metrizität noch auf Metrik hin organisiert, liegend ausgebreitetes Potential, das seiner
Aufrichtung entgegenharrt.


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Prinzipiell gehören diese Werke der Horizontalebene zu, dem Fluß des unbegrenzten Unteren. Auch topologisch Grund-Bilder, Boden-Bilder.
Wären sie nicht so abgründig, wir würden sie begehen wollen.


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Die Organisation nach Vertikalen bringt ein hemmendes Moment in die magmatische Konvulsion, ein bannendes in den Abgrund.


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Die primär unlokalisierbare Erstreckung der bemalten 'Tafeln' gehört der Waagrechten zu, die wir dem Unteren zuordnen. Sie gewinnt
Tiefe und Oberfläche, wo die Bildfläche durch kleinere Rechtecke QUERFELD organisiert wird.

Höhe gewinnt der Grund wo er KREUZFELD EIN variiert wird; nun erhält die Tiefe des Grundes die topologische Dimension des vis-à-vis :
In diesem Schritt - UMKEHRUNG VERHÄLTNISSE - werden Bild-Gestalten generiert, in denen das kaum Benennbare frei wird, sich Licht und
Schwere mehr als RITUELLE HARMONIE, denn als ontologische Gleichung treffen

.Die ikonischen Zeichen schwimmen wie Hieroglyphen in jenem magmatischen Grunde.
Es entstehen in uns keine amorphen Gebilde, doch fehlt die erkennbare Syntax. Uns wird im Strom der Zeit partikularisierte Wirklichkeit
vorgeführt, die im Nu vergeht.

Wo Zeichenfragmente an elementare Flächenraster geheftet werden, erhalten sie einen 'Grundriß ', aber nie jene Tiefenräumlichkeit, die
sie als Ordnung von Gegenständen begreifbar machen könnte.
Raum entsteht nicht als nachmeßbare Räumlichkeit; er resultiert aus den gerichteten Kräften des Grundes. Er drängt nach vorn, zu uns,
Funktion des glühenden Magma, der irritierten Masse, die auf Licht drängt, ohne Sonne, Exuberat der Gravitation, die auch im Kampf um
DIE LEICHTE UND DIE SCHWERE den Ausschlag gibt.


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Das Überzeitliche, das in den Werken von Kleinpeter manifest wird, ist kaum in den Zusammenhang eines Diskurses zu bringen. Soviel
kann vermutet werden : Daß manches, das er in und mit seiner Produktion generiert, das im Werk als Bild präsent ist, seine eigenen
Diskurs–Möglichkeiten übersteigt.

Kleinpeter ist ein 'abstrakter Maler', der wohl stets von gegenständlich fundierten Erfahrungen ausgeht, sie aber strukturell weit reduziert.
Das Ergebnis dieser Reduktion ist die mediale Grundlage für seine Botschaft.

Seine Werke sind nicht Setzungen des Subjekts, durch die auf die Autonomie des Ich verwiesen werden soll, sondern Bilder, die sich aus
der Dialektik von Figur und Grund, Bildchiffren und magmatischer Malmaterie konstituieren. Sie verweisen nicht auf sich, sondern zielen
darauf ab, äußere Realität zu spektrieren. Merkwürdig genug, nähren sie sich aus ontischen Konstanten - anders könnte das
SCHWARZTUNNELLICHT nicht leuchten - verweisen jedoch auf gesellschaftliche Wirklichkeit, DARÜBER MACHT MAN KEINE SCHERZE,
und der BOTANISCHE SCHULMEISTER wird den Sinn nicht verstehen können

.Kleinpeters Bildertitel bezeugen seinen ironischen Realismus. In diesem Verstande ist sein Werk Komplement der Wirklichkeit; deren
bildnerische Entsprechung wie Erschließung; es wird im Sehen zum Bilde, in dem die äußere Wirklichkeit nicht redupliziert, sondern
stigmatisiert erscheint.

Die semantische Dimension ist nicht aus der figürlichen Chiffre eines in der äußeren Wirklichkeit gegenständlich vorhandenen Vorbildes
abstrahiert, sondern aus der Manipulation des bildnerischen Materials selbst. Praesemiotische Qualitäten der Bedeutung, die tief in älteren
Schichten unseres Bewußtseins verankert sind, werden mit Zeichenrudimenten gekoppelt. Hier wird eine Bildvalenz faßbar, die Realität
sichtbar macht. Keine heitere, auch nicht die des Außen, mit Baum und Strauch, Fels und Fluß; sondern jene innere der Seele mit ihren
Schründen und Narben, mit ihrem Sehnen und Hoffen, voller Niederlagen und Enttäuschungen, sozusagen mit einem DESINFARKT, mit all´
den Widersprüchen zwischen der LIEBE UND ANDEREN GRAUSAMKEITEN, mit denen wir uns plagen müssen.
Kleinpeter ist zu jung, um für sein Oeuvre eine Entwicklungsgeschichte anzustrengen. Doch scheint seine Arbeit eine wichtige Station in der
Kunst der letzten Jahre, die den Wandel in der Bildintention schon deutlich zeigt : Dieses melancholisch-agressive, aber temperamentvolle,
dieses temperamentvoll-agressive, aber melancholische Werk schreitet von der chiffrierenden Abstraktion über surreale Mimesis zu einem
ironischen Realismus fort, dessen Nähe zur Welt eine Voraussetzung für Distanz zu den Sachen ist. Damit thematisiert er gleichermaßen
die Problematik der 'Kunstgeschichte' wie der 'Kunst heute'.


***

Kunstwerke - anders als die nur–materiellen Vehikel unserer Umwelt - erscheinen anders, als sie materialiter s i n d . Diese ontisch–
ästhetische Differenz ist für 'Kunst' kategorial.

Ontisch-ästhetische Differenz ist evident im 'Illusionismus' der abbildenden Künste : Angesichts der Sixtinischen Madonna von Raffael sehen
wir spontan (fast 'automatisch') eine Madonna und kein großformatiges, pigmentiertes Brett.
Was sich in diesem ikonischen Illusionismus abspielt, wenn aus dem pigmentierten Brett eine Madonna wird, wird selten hinterfragt, hat
aber eine Bedeutung, die weit über den ikonischen Illusionismus der 'gegenständlichen' Malerei hinausweist.
Tatsächlich spielt die ontisch–ästhetische Differenz auch in der Wirklichkeit der Kunstwerke eine fundamentale Rolle, in denen das
abbildende Moment diminuiert ist; - so eben in den gemalten und farbschichtigen Tafeln von Kleinpeter. Auch hier stehen wir vor jenem
merkwürdigen Sachverhalt, den wir mit dem Begriff der ontisch–ästhetischen Differenz bezeichnen können : im Sehen entsteht eine
Wirklichkeit, die mit der Tatsächlichkeit der Werke nicht kommensurabel ist, und die wir so leicht nicht beschreiben können.
Zunächst gibt es einen offensichtlichen Unterschied zum ikonischen Illusionismus, denn die Werke bilden nichts ab was wir als 'Sixtinische
Madonna', als 'Mäuerchen' oder 'Blume', 'Krone' oder wie immer, diskursiv (mit logischen Sprachmitteln) fassen und über das wir einen
Konsens erzielen könnten.

Aber es gibt einen Konsens : auch sie erscheinen anders, als sie materialiter sind !
Offenbar gibt es auf dieser Ebene ein tertium comparationis zwischen abbildenden und nicht abbildenden Werken. Augenscheinlich ist es
nicht in der Abbildlichkeit gegeben, sondern in der eigentümlichen Phänomenalität, in der das materielle Substrat sich visuell zu einer
Erscheinung sublimiert.

Daß Kunstwerke per se nicht als Erscheinung da sind, sondern als Werke, die irgendwo jemandem so und so erscheinen, das ist von zwei
Seiten abhängig, vom Werk und von seinem Betrachter. Kunstwerke sind in ihrer Materialität nur von ihrem Produzenten abhängig, in ihrer
Phänomenalität aber von dieser Materialität und von ihren Rezipienten

.Das bestätigt die Erfahrung, daß der Kunsthistoriker das Wesen der Werke zwar erkennen kann, grundsätzlich aber nicht fähig ist, es
bruchlos in seine (die diskursive Sprache) zu übersetzen. Denn er weiß grundsätzlich nicht, welche Bildfunktion die Werke bei verschiedenen
Betrachtern haben.

Wo aber die Materialität in Phänomenalität umkippt, da ist das Werk bereits bildwertig; denn es ist bereits Sprache, und es drückt etwas aus.
Eine Sprache freilich, die wir nicht in die unsere übersetzen, und ein Ausdruck, den wir nicht verbalisieren können.
Die Funktion dieser Werke ist es, in ihrer spezifischen Medialität etwas zu benennen, was mit anderen Mitteln nicht zu benennen ist.
Daß sie in ihrer spezifischen Sprachgewalt den Zustand unserer Welt beschreibt. Daß sie in diesem Verstande eine ANTWORT AUF NIE
GESTELLTE FRAGEN ist.

Die Funktion dieser Werke ist, wie aller Kunstwerke, eine adamistische : So wie Adam den Auftrag hatte, Tiere und Pflanzen zu benennen,
hat der Künstler die Aufgabe, die Realität seiner Welt mit seinen Sprachmitteln zu benennen und in der Benennung zu bannen.
Grundintention dieses Oeuvre ist es, den Abgrund aufzuzeigen, in den der Mensch in diesen Jahrzehnten nicht nur zu stürzen droht,
sondern, nach zwei Weltkriegen und so vielen immerwährenden Terriotorialkriegen, seit der ersten industriellen Revolution gestürzt ist. Und
in dem er sich, nicht nur angesichts der atomar bedrohten Zukunft, endgültig vernichten kann.

.Indem die Kunst zu diesen symbolischen Transformationen fähig ist, macht sie den Zustand der Wirklichkeit sichtbar. Sie stellt fest, daß es
ein BRENNESSELDICKICHT gibt, und daß die UNGEHEUERLICHKEITEN DER PROVINZ OFT PAUSBÄCKIGE ZÜGE TRAGEN.

Diese Mahnungen können helfen, den Zustand der Welt zu verändern