Burghart Schmidt  
Der Ätna und die Hinkelsteine    
lm heutigen Naturpolitismus schaltet man wachsend eine Ansicht ab und aus, die nun genügend neuzeitlich diskutiert wurde, die Ansicht, daß es Natur an sich, dem Menschen unabhängige, abgängige für den Menschen nicht gibt. Ja, man verlangt in ästhetisch normativen Programmen (Bernd Lötsch/Rupert Riedl u. a.), daß Kunst Mimesis oder Simulation einer Natur an sich zu betreiben habe, als hätte die Natur an sich die ästhetischen Maße ein für allemal gesetzt. Naturangepaßte Architektur und Kunst laufen um, der Ruf nach ihnen. Was paßt man aber an und wie? Dazu gibt die Natur an sich keine Antwort. Soll wiederholt werden, soll in eine Umkehrung geschickt werden, soll Linie mit Linie beantwortet werden oder mit Quadrat oder mit Spirale? Soll harmonisiert werden, soll eine Dissonanz entstehen! Lauter Fragen, welche die Natur sich nicht stellt, sondern bloß ihre sentimentalen Scheinfreunde bis in die Banalsymbolik einer Mimesis unvorhandener Donauwellen, wie ja die Donau nie so blau war außer im Liederglauben (Sepp Franks erstpreisgekrönter Expo-Entwurf, wohl wegen der Anpaßlerei erstpreisgekrönt).
Da wirkt es erfrischend, wenn Dieter Kleinpeter in seinen jüngsten Arbeiten die Naturthematik einmal von der anderen Seite her aufiäumt. Verführt wurde der Italienfan durch die Typik des italienischen Kitschs. Italien, das war nicht Zufall, aber die Aufenthaltsnähe zum Ätna war es. Und damit die Begegnung mit den ungezählten Postkarten, verstreut um dessen Aktivität herum. Die Aktivität des Ätna mag auch nach kantisch hochgestochenen Anforderungen durchaus Naturerhabenes meinen, in ihrer Simulation durch Postkarte verschwindet das in Farbidylle, ident mit postkartig ozeanischem Sonnenaufgang oder Sonnenuntergang. Was realstrukturell im Entsprechen bleibt, zeigt sich in der Postkartenstreuung zu aller Welt wie der den Ausbruch begleitende Aschenauswurf, wenn auch von anderer Gefahrenart. Diese Postkarten hat Dieter Kleinpeter hergenommen und behandelt, die angepaßte Simulation ohne Original dessen, an was angepaßt wurde. Das Behandeln ist nicht zu verwechseln mit dem Übermalen. Es entsteht vielmehr anderes als Antwort – Vorlage: die Kulisse zu Opposition von Lava - Kalt - Schwarz und Lava - Glut - Rot statt der Farbidylle auf dem Grundiertsein durch Postkartenasche in Postwehen, was weiteren Oppositionen gegen die Farbidylle Anlaß gibt. Was zunächst wie Beschäftigungstherapie gegen reisende Langeweile erscheint, wie der Versuch, sich ständig zu vermitteln, man sei alles andere als out of work, gerät über das Moment der Unruhe, ausgelöst vom simulativen Auslöschen der naturalen Potentiale zum Erhabenheitseindruck durch den letzten Abhub der Mimesis an per Abstempeln versendbarer Postkarte, ins Atelier. Dort tritt das Theatralische ein, welches sich die ganze Zeit regt im Herangang an den Kosmos vom Alltäglichen her statt, - wie lauter Esoteriker meinen, es seit nötig, - vom Kosmos selber. Die Postkarte ist es, womit wir zu tun haben, nicht der Astralleib bei allem Interpretationsbemühen um dessen Postalität, seine Postzulässigkeit. Die kleine Ungeheuerlichkeit der biestrigen Postkarte und ihrer widrigen Serialität ist unser einziger kommunikativer Zugang zu so einem wie dem Ätnaausbruch. Was hülfe einem, in den Ausbruch selber zu springen, es bliebe davon den anderen nur ein Postkartengruß, sei er auch ausgeführt zu hölderlinischem Drama des Empedokles, das Drama liegt ja nicht im dem Ausbruch begegnenden Sprung, der ist gleich einem Postkartenrequisit, einer Postkartenrückfrage. Was nicht in der kleinsten unserer Handlungen sich regt, das bleibt uns folgenlos in unserer Steilung zum Kosmos. Und hier setzt Kleinpeters Sinn für die neue Ansicht des Erhabenen ein, die Jean François Lyotard in die Debatte warf. Das Erhabene sei nicht das ÜbergroBe, sondern die darstellerische Mühe um das unendlich Kleine, das dem Darstellen wegrutscht, statt aufiutrumpfen. Es entsteht ein postkarteninspiriertes Tafelbilddrama zwischen dem sich Einrötenden und dem sich Ausschwärzenden, in das Kleinpeter schnell noch Gegenstandsbezügl iches hineinkritzelt, so daB die sich opponierenden und sich in sich differierenden Farbflächen zu Ummäntelungen und Ausmäntelungen eines Uneinsehbaren werden, anders als die Mänteleien und Kleidereien bei Klimts Abstraktivem. Die wollen versichern, bekannt sei, was sich da verhüllt. Gewiß muß man Kleinpeters Arbeiten dem Wiener Hang zu abstraktem Expressionismus zuordnen. Doch ist da zu unterscheiden, zunächst hebt sich das Abstrahierende vom Abstrakten ab, insofern es noch mit sichtbar macht, wovon her es seine Abstraktionswege einschlägt, während das Abstrakte sich schlechthin behauptend setzt. Kleinpeters Arbeit gehört dem Abstrahierenden zu, das unterscheidet sie eben auch von Klimts naturalisierender Abstraktion. Und es ergibt sich Zugang zur Minimalisierungstendenz im Erhabenen. An Barnett Newman erinnert der Versuch, den Schwärzungen und Hellungen des Schwarzen zu unendlich kleinen Rissen, Einrissen des Differierens zu folgen, das nämliche mit den anderen Farben, den Röten, den Gelben. Barnett Newman wäre ja ein setzender Abstrakter, bemühte er sich nicht prozessual-abstrahierend den undarstellbaren Differenzübergängen auf der Spur zu bleiben: Wann setzt eine Differenz ein statt der fortschreitenden Wiederkehr des Gleichen! Mit solchen künstlerischen Manövern bis von der Therapie der Postkarten her trifft Kleinpeter das Naturereignis des Ätnaausbruchs an, ohne dabeigewesen zu sein. Weil nämlich alle sich an den blanken Naturakt anklebende Mimesis ihre Intention blank verfehlt, höchstens die Albernheit der deklarierten Authentizität sich flattrig anheftet.
Auch auf seinen schottischen Pfaden zu den Menhiren, den aufgestellten GroBsteinen der Megalithkultur und ihren Konstellationen verläßt sich Kleinpeter nicht auf die angebliche Authentizität der Begegnung mit den Originalen. Er hält sich an die Streuung der Reiseprospekte ihrer. Hier handelt es sich zwar nicht um uns fremde Natur, der wir Zugang zu uns machen, sondern um menschliche Kulturprodukte, so lang her, daß sie schon gar nicht mehr wahr sind (Variation einer Hegelschen Ausdrucksweise zu Vergangenheitsabständen), nämlich als kulturelle Produkte, sie begegnen uns naturgeworden. Mögen die Monumente der Megalithkultur durch ihre Monumentalität ein Erhabenes des Übergroßen mit sich führen, und zum anderen durch ihre uns unbekannten kosmischen Bezüge und ihre genau berechneten Proportitionaliten eine Unmerklichkeit des Differenzübergangs, also das Minimalisieren des Erhabenen im Heutigensinn, so ist das Erhabene dem Reiseprospekt in der Idylle des zu Besichtigenden verschütt gegangen. "Schon wieder ein Dolm?" (dolmen franz. für Heiden Opfertische oder Großsteingräber - Grabanlage) rufen die von Monument zu Monument geschleiften Kinder und spüren die Langeweile des Besichtigers bis zum plötzlichen Ruf: "Eine Katze!!!, eine Katze!!!" Natürlich bleibt das Problem, ob die Langeweile ans Minimal-Erhabene rührt. Das beiseite hat die Bunte der Reiseprospekte anläßlich der Hinkelsteine und ihrer Konstellationen Kleinpeter gekontert mit der Wahl farbiger Grisaille zwischen Braun und Gelb unmerklich differierend und doch zum Wort des Schimmers kommend. Aus dem uns bisweilen wüstenfarbig Scheinenden dämmert beißend der Einspruch des Numinosen aus frühem Gewaltakt des Abstrahierens.
Burghart Schmidt
22.3.1991 Semmeringpassage