I.
Der Maler Dieter Kleinpeter erarbeitet sich seit Jahren einen ganz individuellen
Platz innerhalb der charaktenstischen Malereirichtung Österreichs,
die oft mit dem Begriff des 'Expressionismus' bezeichnet wird, eine Richtung,
die eine im weitesten Sinne realistische Einstellung mit einer möglichst
freien 'deformierenden' Malweise vereinigt. Es ist die Richtung, die Tradition
mit Modernität verband, die durch Namen wie GerStl, Kokoschka, Boeckl,
Martinz, Eisler repräsentiert ist, in der
die malerische Phantasie sich behauptete im Rahmen eines Kunstwollens,
das die subjektiv erlebte Welt anhand traditioneller und moderner Stoffe
(Themen) zu interpretieren und den Menschen zu deuten suchte. Dabei spielte
sowohl die realistische Einstellung, d. h. die Auseinandersetzung mit
der konkreten Welt eine konstituierende Rolle, als auch die möglichst
expressive Handhabung der malerisch-koloristischen Mittel, die nicht zu
pedantischer Linearität schrumpften. Im Gegenteil, die beste Tradition
des europäischen Kolorismus (von Hals über Delacroix
zu Van Gogh und im 20. Jh. zu Chaim Soutine) wurde in dieser österreichischen
Kunstströmung lebendig weitergeführt bzw. venvandelt. In dieser
Bewegung der zeitgenössischen Kunst, die eine bloß ästhetische
Vereinseitigung und die Autonomisierung der Mittel in der Abstrakte bzw.
der gegenstandslosen Malerei ablehnte, d.h. gerade nicht das sucht, was
Jean Paul bereits in seiner ,,Vorschule der Ästhetik",,Form
ohne Stoff" nannte, behauptet Kleinpeter seinen Platz.
Auch den anderen Pol bildnenscher Vereinseitigung, den Jean Paul 1804
analysierte,,Stoff ohne Form", also eine simple Wiedergabe der sichtbaren
Wirklichkeit (Naturalismus) ohne starke Subjektive Umformung, das heißt
eine heute oft fotografistische Wiedeiholung von äußerer Realität
ohne Rekurs auf unsichtbare Dimensionen des Wirklichen und auf
innere Bezirke des Subjekts , auch diese Vereinseitigung ist nicht
Kleinpeters Sache. Betrachtet man jene beiden extremen Pole in der heute
so zerissenen Kunstszene, die Gegenstandslosen (Form ohne allgemein verbindliche
Themen) und die Naturalisten und Fotografisten (Stoffe ohne phantasievolle
Form), so sehen wir sozusagen zwei 'Brennpunkte: die eine Art Ellipse
bilden für die Dynamiken des heutigen Kunstbetriebs allgemein wie
auch für einzelne persönliche Werkprozesse. In der Entwicklung
von G. Richter finden wir beide Extreme nacheinander marktgerecht vorgeführt.
Dergestalt routiniert ausgeufert werden sie geistig unverbindlich. Dies
darf aber ernsthafte Kunst nicht werden. Freilich, wie jedes Schema ist
auch dieses auf deutlich individuelle Gestalter nicht bruchlos anwendbar;
so wie die Formel 'Expressionismus' eine Vielzahl von subjektiven Potenzen
umspannte (Kokoschka, Meidner, Schiele, Lehmbruck, Belling, Kirchner,
Beckmann u.a.).
Für Kleinpeter heißt dies genauer gesagt, daß er eigentlich
den Pol bloßer Wiederholung der sichtbaren Realität in seiner
Malerei nicht kennt. Selbst die realistischen ,,Sauschneider" aus
der Serie der äIpischen Bilder (1986-87) oder die Bilder von Wasserfällen,
Wogen und Bergen, die in der großen Retrospektive zu Mannheim 1988
dominierten, stehen der realistischen Tradition der österreichischen
Kunst des 20. Jh. nach Stoff und Form näher als einem platten Fotografismus,
den wir in Malerei und Plastik kennen.
In den letzten Jahren nun und besonders in der Serie der Zimmer - Gemälde
von 1988-89
nähert sich Kleinpeter innerhalb seiner starkfarbigen Malerei, die
den Prozeß des Gestaltens betont und häufig noch voll zur Anschauung
bringt, der anderen Seite der Ellipse, vorausgesetzt man akzeptiert bzw.
nachvollzieht auch für sein Schaffen zwei der allgemeinen Lage vergleichbare
Pole des Gestaltens: den realistischen der ,,Älpischen Bilder"
und den Pol der freien, schweifenden Malweise, die beinahe dem Ideal der,,ecrlture
automatique" der Surrealisten (also der aus psychischer Tiefe kommenden
automatischen Handschrift) entspncht.
Zuweilen stehen sich die beiden Pole in der Kunst Kleinpeters sozusagen
unmaskiert innerhalb eines Werkes gegenüber, so in dem großen
Gemälde ,,Garten" von 1986 (in Mannheim gezeigt), in den ,"Spiegel"-Bildern,
im Caravaggio-Diptychon und im Gemälde ,,Blendung" von 1989.
In letzterem verschmilzt die Figur im rechten Bildteil mit der Tiefe des
unterschiedlich dunklen Ultramarins, das dem gleißenden Gelb und
dem schreiendem Rot des linken Bildteils konfrontiert ist.
II.
Ist die künstlensche Form die Inkarnation des geistigen Verhältnisses
des bildenden Subjekts zur eigenen Umwelt, zum Sein schlechthin und insbesondere
auch zur sozialen und existenziellen Lage des Menschen im Kapitalismus
- und das gilt, in Abwandlung eines Satzes von Max Dvorak - so ist auch
die Arbeit an der künstlerischen Form (als dem Gefäß des
Gehaltes und somit des Ausdrucks) eine Teilhabe an der kreativen Verwandlung
des Bewußtseins. Dies kann stärker in sozialer oder stärker
in persönlich existentieller Hinsicht erfolgen.
Das eine ist jedoch nicht vom anderen zu trennen. Jede verbindliche Kunst
war immer Aneignung der Welt und Mitarbeit an der zeitbezogenen Deutung
der Welt und der Menschen in der Sozietät, d.h. mehr als Autonomisierung
der Formen, mehr als bloßes Komponieren von Formen und Farben, wie
es die Abstrakte seit Kandinsky tut, mehr als das Postulat der Suprematie
der sog. "reinen", "absoluten" Formen, also mehr als
die Diktatur der Form (C. Einstein). Gerade dem Kubismus-Theoretiker,
Dichter und Antifaschisten Carl Einstein verdanken wir in dieser Hinsicht
eine frühe Kntik an den einseitigen Positionen der dekorativen Abstrakten
und der subjektiven Überzüchtung der Formautonomie innerhalb
der zweiten Stufe von Surrealismus und Gegenstandslosigkeit (vgl. seine
Schnften ,,Die Kunst des 20. Jahrhunderts", 1931 in 3. Aufage, und
,,Die Fabrikation der Fiktionen", um 1923, aus dem Nachlaß
1974 erschienen).
Waren die ralistischen Werke Kleinpeters mehr den sozialen Aspekten der
Menschenwelt verpnichtet, so bewegen sich seine Werke aus jüngster
Zeit stärker hin zu einer halluzinativen Malerei, die, freier von
Gegenständen, schweifend das Prozeßhafte der Gestalt-Findung
einsehbar macht. Darin sind die mehr existentiellen ZIMMER-Bilder zutiefst
bildnerisch. Denn in ihnen werden die kollektiv gültigen Zeichen
der allgemeinen Realität den fluktuierenden Farbräuschen, die
wie im Halluzinativen der Träume erschienen, eingebunden, ja amalgamiert.
Und diese Verbindung von gegenständlichen oder figürlichen Zeichen
mit den fluktuierenden Farbkörpern betont zugleich den
Vorgang wie das Ziel des Malprozesses. Dem Offenen, dem Fließenden
und den Transformationen des Lebendigen entspricht in Kleinpeters Malerei
die Sichtbarmachung des Prozeßhaften, die ständige Veränderung
der Form-Gestalt. Diese Arbeit am gesamten Farbkörper und seiner
Expressivität (Gehalt) ist ein eminent plastischer Vorgang, somit
im Sinne bildnerisch.
Kleinpeter schafft simultan aus Bewußtsein und Unterbewußtem
eine künstlerische Gestalt, die je verschiedenen Existenz-Erlebnissen
entsprechen kann: "Zimmer zerbrechlich", "Zimmer erinnerlich","Zimmer
- Mörder abwesend". Das gilt auch für das selbstbildnerische
Werk "moi couche" von 1988, das die liegende Figur des Künstlers
in einem unbestimmt zwischen Gelb und Rot fluktuierenden Raum dem Betrachter
vorführt. Die Aussage dieser Werke ist weniger konkret betsimmt,
als vielmehr unbestimmt und symbolisch. Sie Iäßt sich ebenso
auf Existenzerfahrungen des Betrachters beziehen. Darin liegt ihre Wirkungsmöglichkeit.
Da die Gemälde weder gegenstandslos unverbindlich (beliebig) sind,
noch ins naturalistisch allzu Genaue führen, eröffnen sie durch
ihre affizierende künstlerische Gestalt jedem Betrachter einen denkbaren
Bezug auf seine Existenz. In dieser Hinsicht waren die "Spiegel"-Bilder
von 1987 mehrdeutig, vielschichtig: sie symbolisieren sowohl das Gegenüber
von Mensch und Mensch, wie auch die Konfrontation eines Betrachters mit
einem Bild bzw. Abbild innerhalb des Prozesses des Lebens und ferner die
Dialektik von Beobachter und Objekt, d.h. letztlich auch die Situation
des Malers - das aktiv gestaltende Subjekt gegenüber seinem Objekt,
das in der Malerei transformiert erscheint.
Die Potenzierung der Kraft des Subjekts gegenüber den realen Gegenständen
unserer Welt verstärkt sich in den Zimmer-Bildern im Vergleich zu
den Bildern der Spiegel- und Großstadtszenen. Zuweilen scheint es,
als ob Kleinpeter die Herrschaft des Realen seinem Malprozeß wie
in einem schweifenden Traum unterzuordnen sucht. Halluzinativ, wie schon
Soutine in den 20er-Jahren, gibt
er seiner 'Vision' den deutlichen Vorrang gegenüber den allgemein
wiedererkennbaren Gegenständen. Doch nie kippt diese Malerei um in
rein formalästhetische Komposition oder ins Dekorative oder in ,,lyrische
Ornamente" (wie Einstein die Bilder von Kadinsky bezeichnete).
Darin liegt die Leistung
dieser Kunst, die sich einmal stärker ihrem Pol des'Realistischen:
der Sinnlichkeit der Welt, nähert, einmal mehr jedoch dem anderen
Pol, der schweifenden Transformation von Empfindungen in Malerei, die
dem Halluzinativen entspricht.
Im Halluzinativen gelingt es Kleinpeter, etwas fortzuführen, das
auch dem Engländer Bacon wichtig war: die Existenz des Menschen in
Figuren zu deuten, die dem Prozeßhaften der Malerei identisch werden.
Dies wäre ein Aspekt von ,,modernem Heraklitismus", wie ihn
Georg Simmel für Rodins Plastik definierte.
Immer jedoch fallen drei Elemente als Zentrum von Kleinpeters Kunst auf:
er scheint fähig zum trancehaften Niederschreiben von und Nachgeben
gegenüber nichtangepaßten inneren Prozessen (Visionen); dazu
tritt die Bewußtmachung dieser Prozesse und ihre Formung durch tektonische
Kräfte (Entwicklung - Komposition), das heißt, ihre Umsetzung
in eine neue (künstlerische)
GESTALT, also die metamorphotische Kraft und ihr handwerkliches Äquivalent.
Und drittens erfolgt die Rückbindung der subjektiven Erlebnisse und
Visionen/Gesichte an kollektiv gültige Zeichen bzw. in allgemein
verständliche Symbole (wie etwa Triptychon ,"Zimmer heimwärts").
Besonders die letztere Kondition gibt den Malereien Kleinpeters die Qualität
von kreativen, dialogfähigen Werken, die im Betrachter von Heute
und Morgen ihren Widerhall, ihren Gegenspiegel finden können, - so
wie die erste Kondition seiner Kunst die post-surrealistische Modernität
sichert. Der zweite Bedingungskomplex (Kreativität, tektonische Kraft
und handwerkiiches Können) sollte selbstverständlich sein, wenn
wir von Kunst als Bildnerei sprechen statt von formalen Dekorationen der
kapitalistischen Konsumgesellschaft.
Heidelberg 1989
Lit.-Hinweise:
Jean Paul: Vorschule der Ästhetik (1804), in: Jean-Paul-Ausgabe,
hg. von N. Miller, Band V, München 1974 (2. A.), S. 31-47
Carl Einstein: Die Kunst des 20. Jahrhunderts, Berlin 1926, 3. Aufl. 1931
ders.: Die Fabrikation der Fiktionen (um 1931), hg. von Sibylle Penkert,
Reinbek 1973
W. Schmied: Nach Klimt - Schriften zur Kunst in Österreich, Salzburg
1979
D. Schubert: Georg Eisler - Versuch der Bestimung seiner Kunst, in: Kat.
Ausst. GEORG EISLER, hg. von F.W. Kasten, Mannheim 1986
Fr. W. Kasten: Für Dieter Kleinpeter, in: Kal. Ausst. DIETER KLEINPETER,
Kunstverein Mannheim, Mannheim l988
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